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Helfen – aber richtig

Die Bilder und Nachrichten, die wir aus Japan in der vergangenen Woche erhalten haben, lassen kaum jemanden unberührt. Viele hier bei uns wollen nicht nur untätig herumsitzen sondern helfen.

Hilfe kann allerdings auch am Ziel vorbeischießen.
Gestern abend wurde ich auf Facebook auf eine neugegründete Hilfsaktion aufmerksam. Die Aktion pro-japan.de (die ich hier absichtlich nicht verlinke) ist ein Ableger der Stiftung Pro Organspende, die hier in Berlin durch ihre Plakataktionen mit Prominenten bekanntwurden. Es scheint sich also zumindest um eine seriöse Organisation zu handeln.

Die Aktion möchte “für mindestens 1000 Kinder reale Zuflucht aus einer Welt der Verwüstung und Bedrohung durch radioaktive Verstrahlung bieten.” (Zitat). Zu diesem Zwecke sollen sich Freiwillige melden, die ein japanisches Kind plus Begleitperson oder auch mehrere Personen bei sich hier in Deutschland aufnehmen können. Unterstützt wird diese Aktion beispielsweise vom Sender Sat.1. Auf Facebook findet die Aktion regen Zulauf.

Ja ist doch aber toll, was habe ich da denn schon wieder zu meckern?

Bevor jetzt jeder hier, der schon immer seinen eigenen kleinen Japaner haben wollte, losrennt und sich bei dieser Aktion einträgt, bitte ich euch, euch mal folgendes Szenario vorzustellen:

Die deutsche Nordseeküste wurde von einer bislang unvorstellbaren Sturmflut getroffen. Die friesischen Inseln sind praktisch ausradiert, von den Städten an der Küste ist kaum etwas übrig, selbst Teile von Hamburg stehen unter Wasser. Im Kernkraftwerk Unterweser gibt es zudem eine Havarie, Fachleute bekämpfen vor Ort den Schaden, es besteht allerdings bei entsprechenden Windverhältnissen die Möglichkeit, dass Radioaktivität in Richtung Hamburg oder ins Inland geweht werden kann.

Im Rest von Deutschland herrscht große Betroffenheit, aber dort gibt es keinerlei Schäden; das Leben geht dort wie gewohnt weiter, von vereinzelten Panikkäufen abgesehen. Hilfsorganisationen und Behörden sind im Katastrophengebiet vor Ort. Transport von Hilfsgütern in die betroffenen Gebiete gestaltet sich schwierig, da die gesamte Infrastruktur, Straßen etc. zerstört wurde, daher bestehen im Katastrophengebiet Versorgungsengpässe.

Du sitzt jetzt seit einer Woche mit ein paar anderen Überlebenden in den Trümmern eures ehemaligen Dorfes, es gibt eine notdürftige Versorgung mit Lebensmitteln und wenig Trinkwasser, es ist kalt aber ihr habt wenigstens Unterkunft in der Kirche gefunden, die von der Flut größtenteils verschont wurde. Du bist dir sicher, dass deine Tante aus Bergisch Gladbach nach euch sucht, aber Du kannst sie nicht erreichen, der Handy-Akku ist leer und Steckdosen gibt es keine mehr, warscheinlich ist das Netz ja eh weg.

In dieser Situation erreicht euch das Angebot aus dem Ausland. Freundliche Menschen wollen euch in eurer Not beistehen und euch bei sich aufnehmen. In Japan.

Ihr würdet auch begeistert zum nächsten Flugzeug rennen. Nicht.

Zunächst mal ein rein logistisches Problem: wenn man Menschen aus diesen Gebieten herausbringen kann, dann kann man auch Hilfsgüter dorthin transportieren. Beides funktioniert momentan noch nicht wirklich. Wenn man dann aber in der Lage ist, die Überlebenden aus den Katastrophengebieten wegzubringen, dorthin, wo es Unterkunft, Nahrung, Wasser und vor allem auch psychologische Betreuung gibt – warum sollte man sie dann bitte tausende von Kilometern in eine vollkommen fremde Kultur bringen, wo sie nicht mal die Sprache verstehen? Welchen Sinn soll das denn bitte haben? Zumal es wohl kaum so sein wird, dass da plötzlich jemand vollkommen isoliert dasteht, weil alle Verwandten, Freunde und Bekannten mit einem Schlag ausradiert wurden. Und selbst in diesem Falle ist eine vertraute Umgebung weit sinnvoller als irgendwo ans andere Ende der Welt verschleppt zu werden.

Was die Katastrophenopfer in Japan jetzt brauchen, ist Hilfe vor Ort. Und diese Hilfe ist möglich. Es ist ja bei weitem nicht so, als wäre jetzt das ganze Land eine einzige Trümmerwüste; in den nicht unmittelbar betroffenen Gebieten geht das Leben ganz normal weiter, Menschen gehen zur Arbeit, sitzen in Cafés, freuen sich über die ersten Frühlingsblumen – und machen sich selbstverständlich die ganze Zeit Sorgen um ihre Landsleute. Das heißt aber nicht, dass das Leben nicht weitergeht.

Die Japaner haben einen Krieg und zwei Atombombenabwürfe überstanden und sind anschließend zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt aufgestiegen. Wir sollten ihnen soviel Vertrauen entgegenbringen, dass sie auch diese Katastrophe meistern werden; sie sind in vielen Dingen sehr viel besser organisiert als wir hierzulande, gerade was Naturkatastrophen betrifft.

Wir können ihnen helfen und das sollten wir auch, aber nicht indem wir unser Geld und unsere Energie an halb durchdachten Aktionismus verschwenden. Unter den gegebenen Umständen macht es jetzt am meisten Sinn, an seriöse Hilfsorganisationen zu spenden, die vor Ort den Betroffenen helfen:

(danke an Jettie für die Links)

Nachtrag: gerade gefunden, ein Hinweis von Save the Children, der ebenfalls besagt, dass man die Kinder nicht aus ihrer gewohnten Umgebung reißen soll. Gut gemeint ist nicht immer automatisch gut.

Zweiter Nachtrag: ich habe mir jetzt (Samstag abend) nochmal angesehen, was da bei Facebook abgeht, mittlerweile bin ich nicht mehr wirklich überzeugt, dass die ganze Sache wirklich koscher ist. Da werden schwammige Versprechungen und Ankündigungen gemacht, mißliebige oder kritische Kommentare gelöscht aber dafür ständig zu Spenden (auf das eigene Spendenkonto selbstverständlich) aufgerufen.

Gibt es eigentlich Stellen, wo man die Seriosität solcher selbst proklamierter Hilfsorganisationen überprüfen lassen kann?

 

 

 
2 Comments

Posted by on March 19, 2011 in Dieses und jenes

 

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